GSW Slider 2022 auftakt ausverkauft

Besondere Auftritte gab es in nunmehr 17 Jahren der Gesundheits- und Sportwochen reichlich. In diesem Jahr hat Organisator Volker Siegle in dieser Hinsicht aber sicherlich den Vogel abgeschossen. In Jens Söring präsentiert er im Böblinger Bärenkino einen in den USA rechtskräftig verurteilten Doppelmörder, der im Dezember 2019 – also unmittelbar vor dem Beginn der Corona-Pandemie – nach über 33 Jahren Haft nach Deutschland abgeschoben wurde. Und sich seit seiner Freilassung trotz des stetigen Beteuerns seiner Unschuld weiterhin großer Kritik ausgesetzt sieht. Der Diplomatensohn betont, er habe auf keinen Fall am 30. März 1985 die Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth Haysom umgebracht. Jens Söring gestand die brutale Tat zwar mehrfach, revidierte sein Geständnis aber im Prozess in den USA 1990 und beschuldigte schließlich Elizabeth Haysom. Er wurde trotzdem zu zweimal lebenslänglich verurteilt.

Der Auftritt des mittlerweile 55-Jährigen im Böblinger Bärenkino ist der Höhepunkt eines an Höhepunkten wahrlich nicht armen Abends. Das Ambiente, das Kinochef Andreas Zienteck und sein Team geschaffen haben, stimmt. Rund 200 geladene Gäste, darunter in Firat Arslan auch ein ehemaliger WBA-Boxweltmeister im Cruisergewicht, wohnen einer Veranstaltung bei, die Volker Siegle bereits zur Begrüßung als „so speziell wie noch nie“ tituliert. „Das ist womöglich der emotionalste Abend in 17 Jahren Gesundheits- und Sportwochen.“ Was den Initiator dabei am meisten freut: „Heute sind Gäste hierher gekommen, die schon bei unserer ersten Ausgabe mit dabei waren.“
Ganz besonders sind die diesjährigen Gesundheits- und Sportwochen auch deshalb, weil sie nach zwei Jahren im Zeichen der Pandemie wieder einen Schritt zurück zur Normalität symbolisieren. In den Augen des Böblinger Oberbürgermeisters Dr. Stefan Belz hätte das Motto der Veranstaltung – „Freiheit & Lebensfreude“ – nicht treffender gewählt sein können. Zumal er am selben Tag in der Wildermuth-Kaserne in Böblingen noch 73 ukrainische Waisenkinder begrüßt hatte. „Eine Kaserne ist kein Ort, an dem ein Kind aufwachsen sollte“, bemerkt der Böblinger Schultes sichtlich ergriffen. Auf „ruhige, stille Kinder“ sei er getroffen, „die noch nicht genau wüssten, ob sie sich nun in Sicherheit befänden“. Diese frischen Eindrücke nutzt Stefan Belz, um einen Bogen zum Motto der Veranstaltung zu spannen. „Egal, ob erst angekommen oder schon immer da, Kinder sollen immer frei und lebensfroh sein.“

Den denkwürdigen Abend eröffnet nach der Begrüßung schließlich die Theaterpädagogin und Märchenerzählerin Simone Hartmann. Die entspannt vorgetragene Geschichte der Altensteigerin handelt vom Weisen Ibrahim sowie Hassan, dem Kameltreiber. Letzterer ist ein von Sorgen geplagter Mensch, der sich im Laufe der Erzählung zum „glücklichsten Kameltreiber“ entwickelt. Mit blumiger Sprache und feiner Intonation macht Simone Hartmann Landschaften, Städte sowie Menschen vor dem inneren Auge regelrecht sichtbar. Auch Düfte, Gerüche und Gefühle werden in ihren Erzählungen erlebbar. Immer wieder lässt sie dabei ein mehrsaitiges Monochord erklingen, das dazu beiträgt, dass sich die Gäste für eine kurze Zeit der Gegenwart und dem bunten Treiben des Alltags entrückt fühlen.

Arabisch geht es auch nach dieser Einführung weiter. Co-Moderator Daniel Samy El Menshawi interviewt auf der Bühne die beiden Macher des mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilms „Gaza Surf Club“, Mickey Yamine und Philip Gnadt. Der in Sindelfingen aufgewachsene Ägypter outet sich als „riesen Fan“ der beiden Filmemacher. „Die Kombination Gaza und Surfen begeistert mich“, schwärmt Daniel Samy El Menshawi und will von Mickey Yamine und Philip Gnadt erfahren, wie sie es geschafft haben, ihr Projekt überhaupt in die Tat umzusetzen – wohl wissend, dass es nicht einfach ist, überhaupt in das Palästinensische Autonomiegebiet am östlichen Mittelmeer zu gelangen. Denn Gaza wird gemeinhin als das größte Open-Air-Gefängnis der Welt bezeichnet.

Die Chemie auf der Bühne stimmt auf jeden Fall. Während Daniel Samy El Menshawi immer wieder die richtigen Fragen stellt, nebenbei aber auch das Bedauern äußert, selbst noch nie in Gaza gewesen zu sein, plaudern Mickey Yamine und Philip Gnadt nonchalant aus dem Nähkästchen und verraten den Anwesenden die Geheimnisse rund um die Entstehung des Films. „Leider wird in unseren Medien nie diese positive Seite dieser Region gezeigt“, sagt Mickey Yamine. „Die Menschen leben dort, haben einen Alltag, gehen einem Beruf nach. Und manche surfen eben in ihrer Freizeit.“
So gerne Volker Siegle den Erzählungen auch lauscht, muss er Daniel Samy El Menshawi, mit dem er sich an diesem Abend perfekt die Bälle zuspielt, in dessen Wissensdrang bezüglich Gaza bremsen. Die gesamte Veranstaltung ist auf knapp zweieinhalb Stunden angelegt, wobei der Höhepunkt – der Auftritt von Jens Söring – noch aussteht. Diesen kündigt Volker Siegle als „die verrückteste Geschichte, die ich je gehört habe“ an. Gleichzeitig sei er aber auch fasziniert von seinem nächsten Gast, dem er dann auch ohne weitere Umschweife bereitwillig und „voller Spannung und Vorfreude“ Platz macht. Und Jens Söring lässt erst gar keine Zeit verstreichen und geht sofort in die Vollen: „Ich bin juristisch gesehen ein verurteilter Doppelmörder“, sagt der 55-Jährige, der zuletzt eine erstaunliche Medienkarriere hingelegt hat und derzeit mit seiner Lebensgeschichte von einer Talkshow zur nächsten tingelt.

Tatsächlich trifft man nicht allzu oft im Leben auf jemanden mit einer ähnlichen Vita. Einen Mann, der zunächst gestanden hat, die Eltern seiner Freundin auf grausamste Weise umgebracht zu haben. Der dafür von einem amerikanischen Gericht zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt wurde und nach insgesamt 33 Jahren im Gefängnis auf Bewährung entlassen und nach Deutschland abgeschoben wurde. Unter anderem, um dem amerikanischen Steuerzahler weitere Kosten zu ersparen, und ausdrücklich nicht, weil es irgendwelche Zweifel an seiner Schuld gebe.„Leider hat der Gouverneur von Virginia das Urteil nicht aufgehoben“, so Jens Söring. „Ansonsten würden mir umgerechnet gut 1,3 Millionen Euro Entschädigung zustehen.“

Ein stillschweigendes Eingeständnis, dass damals ein falsches Urteil gefällt wurde, sei es trotzdem. „Ich stehe hier, obwohl ich zwei lebenslange Haftstrafen hatte. Es gab eben große Zweifel an meiner Schuld.“ Genau dieser Umstand hat ihn überhaupt so lange durchhalten lassen. Auch wenn die eigenen Anwälte damals meinten, „da sei nichts mehr zu machen. Mir drohte der Elektrische Stuhl.“ Drei Jahre lebte Jens Söring nach der Urteilsverkündung in der Angst, auf besagtem Hinrichtungsstuhl zu landen, ehe der Europäische Gerichtshof zumindest diese Angst beseitigen konnte.
Wenn Jens Söring erzählt, stockt dem Publikum der Atem. Ob man ihm seine Geschichte glauben mag, oder nicht, sei dahingestellt. Das ist an diesem Abend im Böblinger Bärenkino nicht anders. Er nimmt die geladenen Gäste mit auf eine Zeitreise, plaudert beiläufig, wie er nach zehn Jahren von einem Supermax-Gefängnis in das nächste verlegt wurde. „ Supermax-Gefängnisse sind für die Schlimmsten der Schlimmen vorgesehen – und nichts anderes als die Hölle auf Erden“, sagt Jens Söring. Dafür würden neben den Mitgefangenen auch die Wärter sorgen. „Diese Hilflosigkeit, dieses Ausgeliefertsein haben bei mir irgendwann zu Panikattacken geführt.“ Die Abstände dieser Anfälle würden sich nun in Freiheit wieder vergrößern. „Letztmals hat es mich im Februar in Hamburg erwischt.“
Das sei der Preis, den er für die lange Zeit hinter Gittern zahlen müsse. Um den Anwesenden die Dimensionen näher zu bringen, wählt Jens Söring den ganz großen Vergleich: „Ich war sechs Jahre länger im Knast als Nelson Mandela, genau 12262 Tage.“ Was das mit einem mache? „Es zermürbt die Seele“, liefert Jens Söring die Antwort gleich mit. Und dennoch hat er nie locker gelassen. Geholfen haben ihm dabei die sieben Säulen der Resilienz. Auf deren drei – Akzeptanz, soziale Kontakte sowie Zielorientierung – geht er an seinem eigenen Beispiel an diesem Abend näher ein.
Dass lebenslänglich in den USA auch tatsächlich lebenslänglich bedeutet, vergisst Jens Söring auch nicht zu erwähnen. Und in einem Supermax-Gefängnis war er auch nicht der Einzige, den dieses Schicksal ereilt hatte. Die Anekdoten aus dem Knast, wie er zum Beispiel von einem gewissen Joe Smith fast vergewaltigt worden wäre, sorgen dafür, dass man in diesem Moment eine Nadel fallen hören könnte. Aber anstatt sich zurückzuziehen nach diesem Vorfall, wählte Jens Söring einen anderen Weg, den der sozialen Kontakte. „Manchmal im Leben muss man sich sogar mit seinen Feinden verbünden, um zu überleben.“ Der größte Fehler, den man in so einer Situation machen könne, sei es, sich zu isolieren und in sein Schneckenhaus zurückzuziehen. Jens Söring ging also in die Offensive – und fand kurz darauf nach einer Aussprache in Joe Smith fortan sogar seinen Trainingspartner.
All die Geschehnisse über die Jahre zu ertragen, sei nur möglich gewesen, weil er ein klares Ziel hatte. „Mich hat der Kampf um meine Freiheit, um Gerechtigkeit angetrieben“, sagt Jens Söring. Und wenn die Hoffnung doch mal verlorenging? „Es ist wichtig nicht nur für, sondern auch gegen etwas zu kämpfen. Dann setzt man sich beispielsweise ein dunkles Ziel. Bei mir war das der Gefängnisapparat, gegen den ich ankämpfte.“

Jetzt, wo Jens Söring wieder frei ist, geht sein Kampf unvermindert weiter. Das Leben sei auch „in Freiheit noch schwierig, die Welt verwirrend. Und meine Vergangenheit, mit der ich sehr offen umgehe, macht das Ganze ja nicht einfacher.“ Zum Außenseiter lasse er sich nicht machen – all der Kritik zum Trotz. Die 33 Jahre, die er hinter Gittern verbracht hat, sieht Jens Söring nicht als Verlust an, im Gegenteil. „Für mich ist das ein Schatz, den ich nun weitergebe.“ Sechs Bücher hat er bislang geschrieben, einige davon noch zu Knastzeiten. Der Film „Das Versprechen“ zu dem Fall wurde bereits 2016 gedreht und kam in die Kinos. Bei Netflix sind gleich zwei Serien über den Fall angekündigt.
Das Publikum in Böblingen gab Jens Söring eine faire Chance, seine Geschichte vorzutragen und quittiert seinen Auftritt am Ende auch mit Applaus. Dafür bedankt sich der 55-Jährige und bietet Volker Siegle daraufhin auch das „Du“ an. Der Organisator der Gesundheits- und Sportwochen nimmt an und bedankt sich seinerseits „für das Vertrauen, dass du hier aufgetreten bist“. Märchenerzählerin Simone Hartmann, die danach wieder auf die Bühne kommt, meint vielsagend: „Welche Geschichte erzählt man denn nach so einer Geschichte?“

Einen interessanten Vortrag hält auch Eric Standop, Experte in Gesichtlesen & Antlitzdiagnostik. Zwei Burnouts hatten dem Gründer der Face Reading Academy klar gemacht, dass es mehr gibt im Leben als nur den beruflichen Erfolg. Das Gesicht sei ein Buch, an dem wir ein Leben lang schreiben würden. Eric Standop erkennt und interpretiert die multi-dimensionalen Aspekte eines Individuums und rät, sich auf der Suche nach der Lebensfreude Kinder als Vorbild zu nehmen. „Kinder tun alles aus einem Impuls heraus, sie leben einfach drauflos und zeigen dabei all ihre Emotionen“, sagt der 56-Jährige. Erwachsene hingegen würden vorab immer alles abwägen. „Lebensfreude findet man aber nicht im Verstand, sondern nur dort, wo das Herz hinführt.“

All die Emotionen dieses äußerst kurzweiligen Abends versucht zum Abschluss Master Sai Choletti per Meditation zu erden. „Begebt euch auf die Reise zu eurem Selbst, denn der Schlüssel zum Glück liegt nur in euch“, sagt der charismatischer Lehrer, Redner und Autor. Seit 25 Jahren verbreitet er die Prana-Heilung nach Grandmaster Choa Kok Sui und das Sri Sai Prana Yoga in Deutschland. Den Blick gelte es stets nach innen zu wenden. Innere Wahrheiten und einfache Meditationen helfen, diesen verborgenen Schatz zu heben und Leichtigkeit in das Leben zu bringen. „Die Menschen fragen sich das ganze Leben lang, was der oder jener denkt, aber sie fragen nie nach, was sie selber denken.“ Dabei sei der innere Frieden elementar für jeden Menschen. „Ohne Frieden ist man verloren“, sagt Master Sai Choletti. Praxisnah demonstriert er, wie man berührungslos die universelle Energie mit den eigenen Händen spüren und nutzen kann.

Am Ende der Veranstaltung feiern sich die Anwesenden in gewisser Weise selbst. Böblingens OB Stefan Belz bringt es treffend auf den Punkt: „Das war ein facettenreicher, interessanter, ja beeindruckender Abend.“ Ein Extra-Lob hält Volker Siegle für den Gastgeber der Veranstaltung bereit: „Zum Glück gibt es Andreas Zienteck, der so einen Abend erst machbar macht. Sonst wollen alle im Vorfeld immer einen Masterplan haben, den haben wir aber nicht. Und trotzdem ist am Ende so ein großartiges Event bei rausgekommen.“

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