Mickey Yamine wuchs in Cairo (Ägypten) auf und zog mit 18 Jahren nach Deutschland. Seinen Abschluss im Fach Produktion machte er 2010 an der Filmuniversität Babelsberg mit dem Kurzfilm IM WENDEKREIS DES BÄREN (2008), der eine lobende Erwähnung beim Internationalen Filmfestival von Locarno erhielt. Mit seiner Berliner Produktionsfirma Little Bridge Pictures produzierte er zuletzt DAS LETZTE ABTEIL (2016) und GAZA SURF CLUB (2016).

Wie sind Sie auf das Projekt aufmerksam geworden? Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?

Eine Freundin von mir, mit der ich zusammen an der Filmhochschule in Babelsberg studiert hatte, stellte mir auf der Berlinale 2012 ihren ehemaligen Kommilitonen Philip vor. Sie sagte, Philip habe eine Idee für einen Dokumentarfilm über Gaza und suche einen Produzenten, der sich mit der Region auskennt und gegebenenfalls die Sprache spricht.

Ich bin in Ägypten aufgewachsen, spreche Arabisch und hatte schon immer großes Interesse an Themen rund um den Nahen Osten. Ich hatte schon einige Länder zuvor besucht (Jordanien, Iran, VAE), aber in Gaza war ich bis dahin noch nie gewesen. Ich war allerdings schon immer fasziniert und interessiert an dieser besonderen Region und an der politischen und sozialen/humanitären Lage im Gazastreifen. Gleichzeitig fühlte ich mich gesättigt von den Medien und von Themen, die immer aufs Neue nur über Gaza als Region sprachen und nie von den Menschen. Immer wieder hörte man (und hört man bis heute) nur von Krieg und Konflikt, von Tod und von Extremismus. Egal, ob man nun Israel oder die Palästinenser befürwortet: das Leiden der zivilen Bevölkerung steht außer Frage und es hat sich eine Entmenschlichung eingeschlichen.

Als mir Philip erzählte, er wolle gerne einen Dokumentarfilm über Surfer im Gazastreifen machen, wusste ich genau was er meinte: Keine Kriegsdoku, kein Betroffenheitskino, sondern einen Film über einen Sport, der für individuelle Freiheit steht wie sonst kaum ein anderer – und das in einer der isoliertesten und konfliktreichsten Regionen dieser Welt.


Was waren die besondere Herausforderungen beim Dreh für Sie als Produzenten?

Da wir das Team möglichst klein halten wollten, um Kosten zu sparen und möglichst flexibel zu sein, haben wir alle mehrere unterschiedliche Rollen vor Ort übernommen. Ich denke, die größte Herausforderung war es für mich, alles unter einen Hut zu kriegen: inhaltlich die richtigen Geschichten zu finden und eine Beziehung zu den Protagonisten aufzubauen, qualitativ hochwertig zu arbeiten, das Team zusammenzuhalten sowie schlussendlich Produktionsfragen abzufangen und zu lösen. Bei knapp sechs Wochen Dreh in Gaza als Team unter einem Dach war es vor allem wichtig, alle bei Laune zu halten. Das gilt natürlich auch für die Protagonisten, die nach der ersten Woche schon das Gefühl hatten, ihr Repertoire an Anekdoten und Antworten erschöpft zu haben.


War es schwierig die Förderungen ins Boot zu holen? Wie haben Sie sie überzeugt?

Der Pitch war an sich schon recht aussagekräftig: Wellenreiten im Gazastreifen. Jugendkultur im Krisengebiet, mit einer erfrischenden positiven Attitüde und einer apolitischen Herangehensweise. Es half natürlich immens, den Robert-Bosch-Förderpreis gewonnen zu haben und somit neben der kräftigen Anfinanzierung auch schon ein inhaltliches OK bzw. Vertrauensvotum der Jury bekommen zu haben. Die Tatsache, dass die beantragten Fördersummen auch recht überschaubar waren, minimierte zusätzlich das Risiko für die Geldgeber.


Gab es besondere Begebenheiten am Set, an die Sie sich besonders gut erinnern?

Wir hatten für den Dreh im Meer aus Deutschland ein Unterwassergehäuse für unsere Amira Kamera mitgebracht, mit der wir die Surfaufnahmen aus nächster Nähe machen wollten. Die Schwierigkeit war es nur, die Kamera stabil zu halten. Unser Kameramann Niclas Middleton und ich fanden uns schließlich in einer Schweißerei am anderen Ende der Stadt wieder, bewaffnet mit zwei leeren Plastiktonnen, und bauten dort das „Floß“, von dem Philip schon erzählte. Wir fuhren also mit dieser Konstruktion in eine etwas verlassenere Gegend des Strandes von Gaza, um ihre Praxis-Tauglichkeit zu prüfen. Die in einem Kleinbus vorbeifahrende Hamas-Wasserschutzpolizei sah zwei Männer in grünen Neoprenanzügen, mit einem skurrilen Floß und einem technischen Gerät in einer Wasserschutzhülle. Bis unser Aufnahmeleiter mit der Drehgenehmigung zur Wache kam, saßen wir bei einem Glas Tee und demonstrierten Kamera und Floß den skeptischen, aber stets freundlichen, Beamten.


Wie war die Zusammenarbeit mit Philip Gnadt?

Philip ist ein wahnsinnig angenehmer Mensch, sowohl in der Konzeptionierung, als auch am Set und im Schneideraum. Viele Regisseure sind bekanntlich beratungsresistent oder vertragen keine Kritik. Es ist schier unmöglich, Philip aus der Fassung zu bringen oder ihn zu Trotzreaktionen zu treiben. Er schaffte es auch immer wieder, Lösungen zu suchen und zu finden, statt sich von Problemen und Hürden aus der Reserve locken zu lassen.
Eins von Philips Lieblingswörtern war „Masterentscheidung“. Soll heißen: genug diskutiert, entscheiden wir uns nun für A oder B? Die Betonung liegt auf wir, denn selbst die Master- entscheidungen formulierte er als Frage – an mich oder an das gesamte Team.


Warum sollte man sich GAZA SURF CLUB ansehen?

Unser Film zeigt eine Seite von Gaza, die kaum einer kennt: Das Leben und die Freizeit der Menschen in diesem riesigen „Freiluft-Gefängnis“.
Fast jeder hat schon von Gaza und dem Israel-Palästina-Konflikt gehört, und die meisten von uns sind in den letzten Jahren mit Bildern und Reportagen über Krieg, Verwüstung, Extremismus und Leid regelrecht indoktriniert worden.

Wir haben vergessen, dass dort junge Menschen leben, 15-jährige Mädchen mit Träumen vom Surfen und vom Berühmtsein, Menschen wie Ibrahim, der seinem Traum von Hawaii so lange hinterher rennt, bis er endlich seine Chance bekommt... Wenn einen diese Facette der Region interessiert, ist das genau der richtige Film.


Was ist aus den Protagonisten geworden? Stehen Sie noch in Kontakt?

Mit Ibrahim stehe ich eigentlich in recht regem Kontakt, hauptsächlich über WhatsApp. Er ist nach unserer gemeinsamen Reise nach Hawaii noch eine Woche
länger dort geblieben und anschließend nach Houston, Texas, geflogen, um Freunde zu besuchen. Dort wurde ihm dazu geraten, doch etwas länger zu bleiben und die Gelegenheit zu nutzen, Englisch zu lernen. Er beantragte Asyl und ein Studentenvisum, welches er wohl inzwischen bekommen hat.

Rund anderthalb Jahre nach dem Dreh feierten wir unsere Weltpremiere auf dem Internationalen Filmfest in Toronto (TIFF), zu der Ibrahim wegen seines Visum-Status leider nicht kommen durfte. Kurz danach hatte er bei der US-Premiere auf Hawaii dann aber die Gelegenheit, den Film zum ersten Mal zu sehen. Er versicherte dem Publikum dort, dass er nach wie vor zurückkehren will, um dort den Surf-Club aufzubauen.

Seinen Reaktionen beim Schauen des Films nach zu urteilen, hat er tatsächlich auch Heimweh. Unter vier Augen sagte er mir auch, dass er seine Freunde, Familie und seine Heimat sehr vermisst. Wir sind gespannt, ob es in den nächsten Jahren in Gaza einen Surf-Club geben wird...

ernlegrafik weiss